Arbeitsordnungen – Regeln als Spiegel der Zeit
Von der Strafordnung 1840 zur Arbeitsordnung 2017
Vom ersten Entwurf Philipp Jakob Wielands bis zur aktuellen Version sind alle Wieland-Arbeitsordnungen der letzten 180 Jahre erhalten. Sie erlauben einen faszinierenden Einblick in den jeweils gültigen Wertekanon – und in den Arbeitsalltag der Menschen.
Der erste Entwurf einer Arbeitsordnung findet sich, aus der Feder Philipp Jakob Wielands höchstselbst, in einem Notizbuch aus dem Jahr 1840. Und zwar unter dem Titel „Strafandrohung gegen Unpünktlichkeit und andere Fahrlässigkeiten der Arbeiter“, was viel über die damalige Autoritätsgläubigkeit aussagt. Nichts sagt der Entwurf allerdings über die konkreten Strafen aus, Pünktchen offenbaren, dass sich Wieland hierüber wohl noch Gedanken machen will. Sicher ist, dass an Geldstrafen gedacht ist – sie sollen der Arbeiterkrankenkasse zugutekommen! Die 12 Punkte reichen vom Zuspätkommen bis zur Sach- und Materialbeschädigung.
Bereits 14 Punkte umfasst die „Fabrik-Ordnung“, die der Gründer im November 1862 niederschreiben lässt. Befremdliche Einblicke gewährt gleich Punkt 1: Die Arbeitszeit für sämtliche Arbeiter wird festgesetzt „im Sommer von morgens 5 – 7 Uhr, von ½ 8 – 12 Uhr, von 1 – 6 Uhr, im Winter von morgens 6 – 7 Uhr, von ½ 8 bis 12 Uhr und 1 – 7 Uhr“, also 11,5 Stunden täglich!
Mit einer neuen, nun gedruckten Fabrikordnung aus dem Jahr 1892 ändert sich an den Arbeitszeiten wenig, heißt es doch gleich in §2: „Die wöchentliche Arbeitszeit für die Tagschichten beträgt 61,5 Stunden“, ferner habe zur festgesetzten Stunde „Jedermann an seinem Platze zu sein und die Arbeit pünktlich zu beginnen.“ Zuspätkommenden wird die versäumte Zeit vom Lohn abgezogen, außerdem unterliegen sie „einer Strafe von gleichem Betrage.“
Einen deutlichen Fortschritt offenbart die „Arbeits-Ordnung“ von 1929: Sie enthält Schutzvorschriften für Wöchnerinnen – ein Indiz für den steigenden Frauenanteil – und keinen Strafenkatalog mehr. Interessanterweise ist der Abschnitt 9 über die Arbeitszeit mit einem maschinenschriftlichen Passus überklebt, in dem es heißt: „Die regelmäßige Arbeitszeit ist bestimmt durch das Kollektivabkommen für die Metallindustrie Württembergs.“
Einen eindeutigen Rückschritt zeigt die „Betriebsordnung“ aus dem Jahr 1938. Ganz im Duktus des NS-Regimes ist vom „Führer des Betriebes“, von „Gefolgschaft“, von „Betriebsgemeinschaft“, von „Treue“ und „Ehre“ die Rede. Unter anderem stellt „nationale Unzuverlässigkeit“ einen fristlosen Kündigungsgrund dar.
Welch ein Unterschied zur aktuellen, 2017 eingeführten Arbeitsordnung. Sie dient der „gerechten Behandlung aller Mitarbeiter, dem Arbeitsfrieden und einer reibungslosen Zusammenarbeit … auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens.“