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Story 109 – 1895 – Fürsorge Geschäftsmodell

Abenteuerlicher Weg zur Arbeit

Vöhringer Arbeiter sind lange auf die Iller-Fähre angewiesen

Wieland-Mitarbeiter, die von der anderen Seite der Iller kommen, erreichen über Jahrzehnte nur dank einer Fähre ihren Arbeitsplatz im Werk Vöhringen. Ihr Arbeitgeber hält durch Zuschüsse an den Fährmann die Fahrpreise niedrig und sorgt für einen nächtlichen Fährbetrieb. Erst 1928 macht eine Brücke die oft überfüllte Fähre überflüssig.

Dass Philipp Jakob Wieland 1864 die an einem Nebenarm des Flusses Iller gelegene Krauß’sche Mühle in Vöhringen kauft und mit Wasserkraft zur Fabrik ausbaut, hat auch einen Nachteil: Die Iller und ihre Nebenarme mäandern damals noch unreguliert durch die westlich von Vöhringen liegenden Auen. Deshalb gibt es über den rasch fließenden, wasserreichen und oft über die Ufer tretenden Gebirgsfluss keine Brücke. Stattdessen verbindet eine kleine Fähre das in Württemberg gelegene Ufer mit der bayerischen Seite in Vöhringen.

Seit der Ort 1862 an das Eisenbahnnetz angeschlossen ist, nimmt die Zahl der Fährenbenutzer stark zu; viele Menschen fahren nach dem Übersetzen mit der Bahn nach Ulm zur Arbeit. Dann baut Wieland sein Vöhringer Werk auf, im Laufe der Zeit arbeiten dort immer mehr Menschen aus der württembergische Gemeinde Illerrieden – zur Arbeit gelangen sie nur mit der Illerfähre.

Eine Gepflogenheit, die mit der Einführung von Schichtarbeit bei Wieland an ihre Grenzen stößt. 1895 schließt das Unternehmen deshalb mit dem Fährmann Josef Kast einen Vertrag ab, in dem sich dieser verpflichtet, „die Arbeiter und Angestellten der Firma Wieland & Co. in Voehringen zu jeder Jahreszeit, sofern Eisgang und ein aussergewöhnlich hoher Wasserstand das Ueberfuehren nicht gefährlich erscheinen lässt, in den Stunden von Morgens 4 Uhr bis Nachts 9 Uhr gegen den von den Ueberfahrenden zu zalenden Höchstbetrag von 4 Pfg. per Person & Fahrt nach beiden Richtungen mit seiner Fähre überzusezen.“

Darüber hinaus wird vereinbart, dass der Fährmann zwischen 9 Uhr nachts und 4 Uhr morgens seine Fähre „mit allen Fahrmaterialien“ der Firma Wieland zur Verfügung stellt, sodass ein Wieland-Mitarbeiter in dieser Zeit den Fährdienst ausüben kann. Um dem Fährbetreiber diese Regelungen schmackhaft zu machen, erhält er von Wieland eine jährliche „Entschädigung“ von 50 Mark. Dieser Vertrag wird 1917 mit der Witwe des Fährmanns Kast erneuert – diese muss nun aber auch das nächtliche Bedienpersonal stellen, erhält dafür aber jährlich 80 Mark.

1924 geschieht – wohl wegen Überladung – ein aufsehenerregender Unfall: Die Fähre kentert und versinkt. Wie durch ein Wunder kommt niemand zu Schaden. Immerhin: Das Unglück ist die Initialzündung zum lange aufgeschobenen Bau einer Brücke, die 1928 fertiggestellt wird. Die Tage der ebenso traditionsreichen wie bis dahin altersschwachen Illerfähre sind damit gezählt.

 

Copyright: Foto-Studio Heim, Vöhringen

Der idyllische Eindruck täuscht: Anders als auf dem Bild von 1920 ist die Illerfähre an Stoßzeiten – etwa zum Schichtwechsel bei Wieland – regelmäßig überfüllt. (Copyright: Foto-Studio Heim, Vöhringen)